Saftiger Pastinakenkuchen mit Lavendel: Mindestens so gesund und lecker wie exotische Superfoods. Foto: Isabel Lindemann

Superfoods – seit einigen Jahren sind Lebensmittel mit angeblich oder tatsächlich gesundheitsfördernder Wirkung in Deutschland ein Renner. Versprechen sie doch schöne Haut, intakte Zellen, wenn nicht gleich ewige Jugend. Ob Avocado, Quinoa und Co. auf dem Speisezettel – oder der Speisekarte im Restaurant – stehen, ist mitunter ein eine quasi-religiöse Frage des Lifestyles geworden. Häufig übrigens gerade bei denjenigen, die sich auch für einen umweltverträglicheren und nachhaltigeren Lebensstil starkmachen. Das Problem: Oft sind aus fernen Ländern importierte Superfoods vielleicht gesund für den eigenen Körper, aber alles andere als gut für den Planeten.

Das im Rahmen der Slow Food Youth Academy 2018 initiierte Buchprojekt „Super Local Food“ räumt mit gängigen Irrtümern und Wissenslücken vieler Konsumenten auf und zeigt, welche Alternativen es aus heimischem Anbau gibt. Die passenden Rezepte werden gleich mitgeliefert, sodass unser Buchtipp – wie es die Slow Food Deutschland-Vorsitzende Ursula Hudson im Vorwort schreibt – Lust macht, gleich in den Supermarkt zu laufen und loszukochen. Auch in der Gastro-Küche!

Super Local Food

„Super Local Foods“ von Stefanie Schäfter, Meike Fienitz, Felix Buchborn und Kira van den Hövel ist 2020 im oekom Verlag erschienen. Es wird mit mineralölfreien Farben auf 100 Prozent Recyclingpapier gedruckt, alle klimaschädlichen Emissionen werden kompensiert. ISBN 9-783962-381806, 20,00 € (D), 20,60  (A). www.oekom.de

Vier junge Autoren stehen hinter „Super Local Foods“. 2018 trafen sie sich im Rahmen der Slow Food Youth Academy und beschlossen, den Hype um Superfoods wie Urgetreide, exotische Beeren und Früchte und ihre angeblichen Wunderwirkungen einmal unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten unter die Lupe zu nehmen. Herausgekommen ist ein Plädoyer für Superfoods aus der Region – denn tatsächlich gibt es auch bei uns jede Menge Nahrungsmittel, die oft sogar einen besseren Mehrwert für die Gesundheit haben als die Importe aus fernen Ländern.

Gesund, aber nicht nachhaltig

Leider ist mit dem Aufstieg von Supermärkten und Lebensmittelindustrie viel Wissen, das für unsere Großeltern noch selbstverständlich war, verloren gegangen. „Super Local Foods“ klärt deshalb die (Großstadt-)Konsumenten des 21. Jahrhunderts auf, was es mit den begehrten Chiasamen, Quinoa, Gojibeeren und natürlich ihren heißgeliebten Avocados tatsächlich auf sich hat und warum deren Verzehr für die Umwelt und die Menschen in den Erzeugerländern oftmals problematisch ist. 

Und auch mit der Gesundheitswirkung ist es oft gar nicht so weit her. Beispiel Chiasamen: Die Autoren berichten, dass allein im Jahr 2016 im deutschen LEH knapp 2.000 Tonnen der kleinen grauen Samen aus Mittel- und Südamerika verkauft wurden – doppelt so viel im im Jahr zuvor. Begünstigt wurde der Boom durch die Novel-Food-Verordnung der EU, nach der seit 2015 nicht mehr jedes neue Lebensmittelunternehmen eine Zulassung bei der EU-Kommission erwirken muss. So können auch Lebensmittel, die in Europa bisher nicht oder wenig konsumiert wurden, leichter eingeführt werden. Allerdings gab die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) eine Verzehrsempfehlung für Chiasamen von maximal 15 Gramm pro Tag ab, was gerade einmal reicht, um 17 Prozent des täglichen Bedarfs an Ballaststoffen zu decken. Mit Aussagen zur Heilung oder Linderung gesundheitlicher Beschwerden dürfen sie nicht beworben werden, weil diese nicht ausreichend nachgewiesen sind. 

Marketing statt Medizin

Denn die Deklaration eines Lebensmittels als „Superfood“ beruht in vielen Fällen nicht auf medizinischen Erkenntnissen, sondern auf cleveren Marketingstrategien. „Das Marketing des 21. Jahrhunderts hat wesentliches Interesse daran“, schreiben die Autoren, „das Bild von Superfoods als gesundheitsfördernde Produkte aufrechtzuerhalten und auszubauen. Hierfür werden unter anderem klinische Studien in Auftrag gegeben, die die gesundheitliche Wirkung der Lebensmittel bzw. einzelner Inhaltsstoffe untersuchen sollen. Das aber kann mitunter höchst problematisch sein.“ Denn die Auftraggeber und Finanziers solcher Studien sind vielfach genau diejenigen, die ein großes Interesse an einem positiven Ergebnis haben. Die Ausweisung von Lebensmitteln als Superfoods könne außerdem zu dem Eindruck führen, dass der regelmäßige oder gelegentliche Konsum ausreichend für eine gesunde Ernährung sei und andere Lebensmittel als weniger relevant erscheinen lassen.

Welche Folgen die rasant steigende Nachfrage in den Industrieländern nach Superfoods aus (sub-)tropischen Regionen haben, zeigen die Autoren unter anderem anhand der Avocado auf.  Ihr weltweiter Anbau wuchs von 2000 bis 2017 von 2,71 Mio. Tonnen auf 5,92 Mio. Tonnen (+120 Prozent).

Waldrodung

Der Import nach Deutschland stieg von 2010 bis 2018 um 230 Prozent auf 92.747 Tonnen. Allein in Mexiko werden für die Produktion der besonders bei Vegetariern und Veganern beliebten Frucht jährlich schätzungsweise 1.500 bis 4.000 Hektar Wald gerodet.

Super Local Food

Die Autoren von „Local Super Foods“ (v.l.): Felix Buchborn ist Student der Lateinamerikastudien und forscht zu den sozialen und ökologischen Folgen unseres Lebensmittelkonsums. Meike Fienitz hat Environmental Policy and Planning studiert, sie erfroscht nachhaltiges Landmanagement und Landnutzungskonflikte. Kira van den Hövel ist Dozentin für Ernährungsbildung im frühkindlichen Bereich. Stefanie Schäfter hat Umweltpolitik und Umweltmanagement studiert und berät öffentliche Einrichtungen zum kommunalen Klimaschutz. Foto: Samira Kreuels

Hinzu kommen intensiver Pestizideinsatz und ein hoher Wasserverbrauch von bis zu 1.000 Litern pro Kilogramm. Von den fast 10.000 Kilometern Transportweg bis in deutsche Supermarktregale und Restaurantküchen ganz zu schweigen. Bei Quinoa, Kakao und Mandeln sieht die Bilanz kaum besser aus.

Von A wie Artischoke bis Z wie Zwiebel

Superfoods aus fernen Ländern sind also nur selten im Sinne nachhaltigen Konsums. Zumal es jede Menge heimischer Alternativen gibt, um sich gesund und ausgewogen zu ernähren. In „Super Local Foods“ werden sie ausführlich präsentiert und ihr Nutzen erklärt – leicht verständlich und übersichtlich mit grafischen Icons zu Vorteilen wie „regen die Verdauung an“, „unterstützen die Lunge“, „stärken Herz-Kreislauf“ oder sogar „sind für den Balkonanbau geeignet“. Vertreten sind Gemüse von A wie Artischocke bis Z wie Zwiebeln, außerdem Früchte, Getreide und Körner, Nüsse und Samen sowie Kräuter. Erkenntnis: Die meisten weitergereisten Superfoods lassen sich locker durch regionale Produkte austauschen. Welcher Wirkstoff worin enthalten ist, erfährt der Leser ebenso wie die gesundheitsfördernd Funktionsweise von verschiedenen Vitaminen, Ölen und Gerbstoffen. Kurz: Nach der Lektüre von „Super Local Foods“ ist jeder ein kleiner Ernährungs- und Nachhaltigkeitsexperte.

Superfoods

Marmelade aus sehr Vitamin-C-reichem Sanddorn ist gesund und passt bestens zu kräftigem Käse. Der Buchweizenpfannkuchen mit Spinat und Beeren lässt sich je nach Saison auch mit Äpfeln oder Birnen zubereiten.

Fotos: Kira van den Höfel,  Stefanie Schäfter

Superfoods

Bleibt die Frage nach der besten Zubereitung der Wunderfoods von Nebenan. Sie beantwortet das Buch mit 36 nach Saison sortierten, vegetarischen Lieblingsrezepten – von Buchweizengnocchi mit Bärlauchpesto und Wildkräutersalat über Spargelsalat mit jungen Kartoffeln und Minze, Herbstliche Kürbistarte mit Apfel, Walnüssen und Feldsalat bis hin zu Saftigem Pastinakenkuchen mit Lavendel.

Kaufentscheidungen bewusst treffen

„Wir finden: Essen soll Freude machen, keinen Frust!“, betonen die Autoren zum Abschluss ihres Werksund betonen: Ob und in welchem Umfang importierte Superfoods auf dem Speiseplan beziehungsweise der Speisekarte stehen, entscheidet jeder (Gastronom) selbst. Sie wollen allerdings anregen, Kaufentscheidungen bewusst zu treffen und sich nicht von geschicktem Marketing manipulieren zu lassen. Und vielleicht – aus gastronomischer Sicht – die Gästevorlieben durch Aufklärung ein wenig in Richtung Regionalität zu steuern. „Denn Schritt für Schritt“, so ihr Fazit, „mit jedem einzelnen Essen, kann unser Lebensmittelsystem ein kleines bisschen lokaler, ein kleines bisschen zukunftsfähiger und ein kleines bisschen fairer werden. Davon träumen wir.“

Slow Food Youth Academy

Die Slow Food Youth Academy ist ein aus sieben Themenwochenenden einer Studienreise bestehendes interaktives Trainingsprogramm für junge Auszubildende, Berfustätige und Studierende, die gerne mehr über das Lebensmittelsystem und dessen praktische Prozesse erfahren möchten. Ziel ist es, junge Menschen zu befähigen, die Herausforderungen der Lebensmittelzukunft zu bewältigen und als Change Maker positive und nachhaltige Veränderungen herbeizuführen. Thematische Schwerpunkte sind die Herkunft von Grundnahrungsmitteln, Methoden der Weiterverarbeitung, Vertriebswege und der Einfluss von Verbraucherentscheidungen im globalen Lebensmittelsystem. Weitere Informationen gibt Elia Carceller e.carceller@slow-food.de