Mit ihrer CloudEatery gehen Matthias Schneider und Remo Gianfrancesco neue Wege in Sachen Lieferservice und Betriebsgastronomie. Gestartet in Frankfurt, entwickeln sie auf der Basis einer Komponentenküche gastronomische Marken mit vielfältiger kulinarischer Ausprägung, die dem Kunden allerdings nur virtuell begegnen. Digitale Bestell- und Bezahlsysteme bilden das effiziente Rückgrat des Lieferkonzepts, das die beiden Unternehmer – auch mit prominenter Unterstützung – in ganz Deutschland multiplizieren wollen. Für das Magazin Fizzz  haben wir uns das Konzept und seine Macher genauer angesehen:

„In meinem unternehmerischen Leben war ich häufiger mal zu früh dran”, stellt Matthias Schneider rückblickend auf seine 20 Jahre in der Gastronomie fest. So leistete der studierte Wirtschaftsgeograf zum Beispiel Pionierarbeit, als er 20 mit einem Partner den Lieferservice mana mana ins Leben rief: Mit Smarts und einem Transporter brachte das Duo eigenhändig Sandwiches, Sushi, Salate und Wraps zu Großkunden im Raum Frankfurt. „Auf der Sandwich-Verpackung standen unsere zehn Firmencredos: unter anderem Nachhaltigkeit, Natürlichkeit, Faires Behandeln der Mitarbeiter, Vorurteilsfreie Gesellschaft – alles Dinge, die damals belächelt wurden und heute für die meisten Unternehmen selbstverständlich sind!”, erinnert sich der 50-Jährige. Auch beim Thema Premiumisierung von Eis und Schokolade war Schneider mit seiner eigenen Franchise-Formel Dulce, die es zwischenzeitlich auf rund 25 Filialen in ganz Deutschland brachte, ganz vorne mit dabei. Jetzt gehört er mit der CloudEatery in Deutschland wieder zu den ersten, die das Zukunftsthema Ghost Kitchens professionell und mit großen Ambitionen angehen.

CloudEatery Matthias Schneider
Matthias Schneider ist seit gut 20 Jahren mit verschiedensten Konzepten in der Gastronomie unternehmerisch aktiv.

Pizza und Pasta für Niederbayern

An seiner Seite: Geschäftspartner Remo Gianfrancesco. Die Familie des gebürtigen Italieners kam in den 70er Jahren nach Niederbayern, wo sie die Menschen zwischen Regensburg und Passau mit Pizza, Pasta und Lasagne bekannt machte. „Ich bin in unseren Restaurants aufgewachsen”, erzählt der 44-Jährige. „Die Gastronomie hat mich seither nie wieder losgelassen.”

CloudEatery Remo
Remo Gianfrancesco wuchs in den italienischen Restaurants seiner Familie auf und durchlief zunächst die klassische Hotel-Ausbildung.

Bei Sheraton durchlief er die klassische Hotel-Ausbildung, schloss anschließend ein Betriebswirtschaftsstudium an der Universität Passau ab, um unter anderem bei der Compass Group Karriere zu machen. Dort bündelte er zuletzt Teile des Einkaufs für 20 Länder in Kontinentaleuropa. „Ich habe im Konzern wahnsinnig viel gelernt und davon profitiert, dass ich die Realität und die Bedürfnisse der Leute in der Küche kenne und verstehe”, erklärt Gianfrancesco. Dennoch entschied er sich nach neun Jahren, von nun an als freier Berater mit seiner Leidenschaft und seinem Wissen über den Food-Einkauf zum Erfolg spannender Projekte beizutragen. 

cloudeatery

Delivery Business der Zukunft

Matthias Schneider lernte er bei einem Kundentermin kennen, während dieser ebenfalls gerade auf der Suche nach einer neuen Herausforderung war. Als Global Vice President war Schneider zuvor bei der Lieferplattform Delivery Hero unter anderem für den Aufbau eigener Lieferküchen verantwortlich gewesen – bis der Rückzug des Unternehmens aus dem deutschen Markt das Engagement abrupt beendete. „Als ich Remo von meinen Ideen für das Delivery Business der Zukunft erzählte, wurde aus einem 30-minütigen Termin ein Gespräch von mehr als vier Stunden”, denkt Schneider an die folgenreiche Begegnung zurück. „Am nächsten Tagen beschlossen wir: Lass es uns machen!”

Johannes B. Kerner steigt als Investor ein

Mit Fernsehmoderator Johannes B. Kerner haben Matthias Schneider und Remo Gianfrancesco einen prominenten Investor für ihre CloudEatery gewonnen. Darüber hinaus sollen Joint Ventures mit erfahrenen Gastronomen die Expansion vorantreiben. „Wir versprechen uns viel von der Beteiligung und Partnerschaft mit Johannes. Als prominenter Moderator – auch einer bekannten Koch-Show – teilt er unsere Leidenschaft für gutes Essen“, so Gianfrancesco. Zeitgleich zum Einstieg von Kerner eröffnete das Start-up einen weiteren Standort in Berlin: einen CloudEatery Foodcourt mit zunächst sieben Delivery Brands auf 650 qm in zentraler Lage in Berlin Mitte.

„Die Idee von CloudEatery als ‚Fastest Food Plaza‘ hat mich überzeugt“, so Johannes B. Kerner. „Mit der besonders schnellen Lieferung haben wir hier ein Pfund, das uns von herkömmlichen Lieferdiensten unterscheidet. Daneben präsentieren wir eine absolut ansprechende und diverse Speisenauswahl. Die Kombination aus Vielfalt und Geschwindigkeit ist der USP.“

CloudEatery JBK

Beide merkten gleich, dass die Chemie zwischen ihnen stimmt und sich ihre Stärken gut ergänzen: „Remo besorgt als Supply-Chain-Experte alle Zutaten in kürzester Zeit, er lebt mit Kompetenz und Begeisterung für die authentisch italienische Küche. Ich bin ebenfalls ein leidenschaftlicher Foodie, außerdem gut in Marketing und Operations”, erklärt Schneider. Gianfrancesco bringt die gegensätzlichen Talente auf den Punkt: „Matthias ist der Stürmer, ich der Libero. Ich bin Einkäufer, er Verkäufer – zusammen sind wir ein ausgesprochen gutes Team!”

Tiefgreifender Wandel in der Betriebsgastronomie

Dass sie mit ihrem Ghost Kitchen-Konzept CloudEatery diesmal nicht die allerersten im Markt sind, ist aus der Sicht der beiden Unternehmer ein Vorteil: „Es sind schon einige mit dieser Idee gescheitert, oft, weil sie entweder nur Gastronom oder nur Technologie-Experte waren. Um im Liefergeschäft erfolgreich zu sein, müssen jedoch beide Bereiche perfekt ineinandergreifen”, weiß Schneider. Da geringe Investitionskosten mehr Spielraum für gute Zutaten, qualifizierte Mitarbeiter und faire Preise lassen, setzt CloudEatery auf bereits existierende Infrastruktur in Kantinen oder Restaurants, die aus verschiedenen Gründen nicht mehr wirtschaftlich betrieben werden können. „Die Betriebsgastronomie steht durch Corona und den damit einhergehenden Trend zum Home Office vor einem tiefgreifenden Wandel”, unterstreicht Gianfrancesco. „Wir bieten Unternehmen, die sich von ihrer Kantine trennen wollen, eine Alternative, indem wir die Flächen weiter nutzen, ihre Mitarbeiter mit Essen versorgen und durch den zusätzlichen Lieferservice für die umliegenden Firmen und Anwohner wirtschaftlich arbeiten können, wo das klassische Modell nicht mehr funktioniert.” 

„Wir sind kein Restaurant! Eher ein Co-Eating-Space, in dem man Take-away-Essen in schöner Atmosphäre genießen kann.”

Remo Gianfrancesco

Geschäftsführer, CloudEatery

Eine solche Fläche fand sich in Frankfurt am Main an der Rückseite des Bürokomplexes Westendcarree. Hier betrieb die Compass Group unter ihrer Premium-Marke Food Affairs vor Corona eine stylische Cafeteria für einen Co-Working-Space von Design Offices. Danach stand die Fläche mit Bistro-Küche und einem üppig bepflanzten Innenhof monatelang leer. „Niemand traute sich da rein”, bekräftigt Schneider, „für unser ‚Testlabor’ ist die Location aber perfekt!” Im Dezember 2021 nahm die Cloud Eatery hier ihren Lieferdienst auf, seit März können die Kunden ihre Bestellung auch vor Ort verzehren. „Aber wir sind kein Restaurant!”, betont Gianfrancesco. „Eher ein Co-Eating-Space, in dem man Take-away-Essen in schöner Atmosphäre genießen kann.”

Großmutter stand Pate

Unter dem Dach der CloudEatery versammeln sich aktuell sieben Marken unterschiedlicher kulinarischer Ausrichtung: Wer bei „Hey Liebling” bestellt, bekommt deutsche Klassiker wie Gulasch oder Boef Stroganoff. „Nonna Filomena” – benannt nach und inspiriert von Remo Gianfrancesco´s Großmutter – liefert die italienischen Pendants von Pasta al Ragù Bolognese bis Pinsa.

Unter dem Label „Noko Noko” stehen frische und gesunde Burritos, Bowls und Salate zur Auswahl, beim „Curry Tyga” indische und thailändische Currys und die „Vegan Pirates” setzen auf moderne pflanzliche Küche. 

CloudEatery Vegan Pirates
Cloud Eatery NokoNoko

Schneiders Erfahrungen mit süßen Leckereien sind in das Dessert-Angebot von „Lilly Krokant” eingeflossen, das in Zukunft zu einem eigenen Kanal für veganen Kuchen und Kaffee ausgebaut werden soll. Last but not least kooperiert die Cloud Eatery mit dem Berliner Online-Shop KoRo, dessen Produkte unter dem Titel „KoRo kocht” als Toppings verschiedene Gerichte verfeinern und auch als Retail-Artikel bestellt werden können. 

Weitere Marken in der Schublade

Weitere Marken liegen bereits in der Schublade oder lassen sich in kürzester Zeit entwickeln, wenn sie zum jeweiligen Standort passen, kündigt Schneider an. „Sofern es die Lage hergibt, können wir alles – von Low Budget bis Champagner und Lobster.” Nicht verhandelbar sind allerdings die hohen Ansprüche an Frische und Qualität der Zutaten. „Wir vermeiden Convenience-Produkte und machen so viel wie möglich selbst”, so die Unternehmer. Dabei helfen genaue Anleitungen und moderne Küchentechnik auch ungelernten Kräften, die im Baukastenprinzip aus möglichst wenigen Zutaten komponierten Gerichte zuzubereiten. 

„Sofern es die Lage hergibt, können wir alles – von Low Budget bis Champagner und Lobster.”

Matthias Schneider

Geschäftsführer, CloudEatery

Bei der Lieferung nutzen Schneider und Gianfrancesco ausschließlich die Dienste der großen Plattformen Wolt, Lieferando, Uber Eats und Eatura, die in Frankfurt täglich rund 400 Essen für die Cloud Eatery ausliefern. Die Herausforderung: nicht nur hochwertiges Essen, sondern auch Gastfreundschaft und Erlebnis bis zum Kunden zu bringen und damit im flüchtigen Delivery-Business eine Bindung an die eigenen Marken zu erzeugen. „Das funktioniert einerseits, indem wir gut mit den Fahrern umgehen, sodass sie gerne für uns fahren und an der Tür der Kunden freundlich sind. Und andererseits über kleine Aufmerksamkeiten wie handgeschriebene Botschaften und kleine Popcorn-Zugaben für unsere Kunden”, berichtet Schneider.

CloudEatery Gastraum
CloudEatery Frankfurt
Cloud Eatery
cloud eatery team

Kommunikation über selbst entwickelte Software-Lösung

Kunden, Küche und Kuriere kommunizieren über die selbst entwickelte Software-Lösung, die jede Bestellung automatisch an eine festgelegte Kochstation – intern übrigens benannt nach Rockbands wie Pink Floyd, Led Zeppelin oder The Grateful Dead – ausspielen, wo sie dann in wenigen Minuten zubereitet wird. „Bei mehr als 100 verschiedenen Rezepturen ergibt es organisatorisch mehr Sinn, unabhängig von den Marken diejenigen Gerichte an einem Posten zu bündeln, die ähnliche Prozesse erfordern”, erklärt Schneider und nennt als Beispiele asiatische Currys und deutsche Schöpfgerichte oder Salate und Bowls, deren Zutaten aus der Saladiere im Thekenbereich zusammengestellt werden. 

„Anders als Restaurants, die während der Corona-Krise begonnen haben, ihr Essen auch auszuliefern, haben wir die Sortimente unserer Marken zu 100 Prozent auf das Liefergeschäft zugeschnitten und verzichten auf Gerichte, die sich nicht gut transportieren lassen, wie beispielsweise Steaks und eine Carbonara”, ergänzt Gianfrancesco. Der Inhouse-Verzehr sei ohnehin eher ein Add-on, wenn die Fläche dies zulasse. Um die Komplexität zu verringern, wurde das Angebot für das Bestellen und den Verzehr vor Ort kürzlich auf nur wenige Gerichte je Marke reduziert. „Das erleichtert unseren Kunden die Auswahl und beschleunigt den Bestellprozess.” 

cloud eatery nonna Filomena

Kantinen auf dem Prüfstand

Angesichts von rund 9.000 Kantinen mit eigener Küche in Deutschland, von denen nicht wenige aktuell auf dem Prüfstand stehen, sehen die Gründer für ihr Konzept großes Potenzial: „Eine Fläche im Erdgeschoss mit bestehender Infrastruktur sowie ein gutes Umfeld für Delivery sind die wichtigsten Kriterien dafür, dass unser Format funktioniert”, fasst Gianfrancesco zusammen. Das Wachstum soll in Joint Venture-Partnerschaften mit operativ erfahrenen Gastro-Profis vonstatten gehen, die das operative Geschäft verantworten, während sich die Gründer auf den Markenaufbau, die Weiterentwicklung der IT und die Expansion konzentrieren. Standorte in Berlin und Köln eröffnen noch in diesem Jahr. „Jede Filiale kann nur so erfolgreich sein, wie der Profi vor Ort und der technische Background”, hebt Schneider hervor. Mit Hilfe von Investoren soll dann zügig aus dem Startup ein wichtiger Player im Markt werden. Denn stimmt das Gesamtpaket, ist es auch nicht mehr so wichtig, der erste im Markt zu sein, sind die Unternehmer überzeugt: „Google, Amazon und Hello Fresh haben alle von Learnings anderer profitiert und deren Idee groß gemacht.” 

Fotos: CloudEatery