Noch sieben Jahre bleiben der Menschheit Wissenschaftlern zufolge, um ihren CO2-Ausstoß so zu verringern, dass unumkehrbare Veränderungen im Weltklima noch aufzuhalten wären. Marketing- und Kommunikationsprofi Balázs Tarsoly und Rechtsanwalt Ralf Müller-Amenitsch haben gemeinsam ein Buch geschrieben, das sie als Startpunkt einer internationalen Kampagne sehen, mit der sie die Ernährungswirtschaft verändern wollen. Die beiden Autoren sind überzeugt: Ohne einen tiefgreifenden Wandel in unserem Essverhalten, lässt sich die drohende Klimakatastrophe nicht aufhalten. 

Herr Tarsoly, Sie haben gemeinsam mit dem Rechtsanwalt Ralf Müller-Amenitsch das Buch CO2lution geschrieben. Es gibt auch eine Website dazu: Wollen Sie eine Bewegung starten? 

Balázs Tarsoly: Ja, tatsächlich ist das die Idee hinter CO2lution: eine internationale Bewegung zu initiieren, die Lösungen erarbeitet, wie wir den CO2-Ausstoß von Wirtschaft und Verbrauchern gleichermaßen reduzieren können. Wissenschaftler prognostizieren, dass uns nur noch sieben Jahre bleiben, bis unser CO2-Budget aufgebraucht ist. Spätestens dann drohen Naturkatastrophen und nicht umkehrbare Veränderungen, die das Weltklima kippen lassen. 

Die Politik handelt hier einfach zu langsam und mit Maßnahmen, die aus unserer Sicht ihre Wirkung nicht mehr rechtzeitig entfalten werden, um die Klimakatastrophe aufzuhalten. Aus der Gesellschaft und der Wirtschaft heraus lassen sich dagegen Veränderungen mit einfachen Mechanismen erreichen, die sehr viel schneller wirksam werden. Ralf Müller-Amenitsch und ich kennen die Ernährungs- und Lebensmittelbranche sehr gut und sehen hier viel Potenzial, wenn möglichst viele Unternehmern und Konsumenten mitmachen.  

Das Buch ist ein Doppelbuch mit dem „CO(2)nsumatorischen Manifest“ von Ralf Müller Amenitsch und Ihrer „Ökonomie des Wandels“: Warum zwei Bücher in einem? 

Balázs Tarsoly: Weil wir unser Ziel nur erreichen werden, wenn wir sowohl die Konsumenten, die Ralf Müller-Amenitsch anspricht, als auch die Wirtschaft, die meine „Ökonomie des Wandels“ adressiert. Wirtschaft und Gesellschaft sollten nicht aufeinander warten, sondern sich gegenseitig fördern und ermutigen, etwas zu verändern.

 Wir haben die Daten und die Technologie, um etwas gegen die drohende Katastrophe zu tun, indem wir Dinge transparent machen, die viele Verbraucher heute gar nicht wissen, wie zum Beispiel den CO2-Fußabdruck eines Lebensmittels. Häufig handeln Menschen so wie sie handeln aufgrund eines Wissensdefizits. Gibt man ihnen die entsprechenden Informationen, versetzt man sie in die Lage, andere Entscheidungen zu treffen und ihre Gewohnheiten zu verändern. 

Co2lution

Darin liegt eine riesige Chance für diejenigen Unternehmen, die sich um die Minimierung ihres CO2-Fußabdrucks bemühen und dies offensiv kommunizieren. Das ist ein echter Wettbewerbsvorteil. 

Und die Politik? Welche Rolle spielt sie?

Balázs Tarsoly: Veränderung funktioniert doch so: Eine kleine Gruppe von Idealisten stößt etwas an, das in die Mehrheitsgesellschaft hineinwirkt und eine wachsende Nachfrage erzeugt. Die Wirtschaft reagiert, bietet entsprechende Produkte an, verdient zunehmend Geld damit. Dann erst kommt die Politik und schafft die dazugehörigen Regularien. Wir können nicht auf die Politik warten, die Zeit haben wir einfach nicht.

Es gilt also, die vielerorts in der Wirtschaft immer noch vorherrschende Überzeugung umzukehren, dass sich Geld nur mit Produkten verdienen lässt, die nunmal leider einen hohen CO2-Ausstoß verursachen? 

Balázs Tarsoly: Genau. Denn: Ohne Wirtschaft hätten wir kein Klimaproblem. Deshalb können wir das Klimaproblem nur mit der Wirtschaft gemeinsam lösen. In der Wirtschaft hat man sich viel zu lange keine Gedanken darüber gemacht, welche Folgen die eigenen Aktivitäten für den Planeten und seine Zukunft haben. Unsere kapitalistische Wirtschaftsordnung kennt nur eine Motivation, die gleichzeitig einen hohen Druck auf die handelnden Personen ausübt: Geld zu verdienen. 

Am Ende des Tages muss deshalb jede Entscheidung in der Wirtschaft eine Entscheidung für Profit sein. Unser Ziel ist es aber, dass die Entscheidung für oder gegen mehr CO2-Ausstoß vor der Profitentscheidung getroffen wird, also Grundlage für alle weiteren Entscheidungen wird. Dahinter steht die Überzeugung, dass sich der Profit automatisch einstellt, wenn wir mit unseren Entscheidungen die Lebensbedingungen für alle verbessern. Dafür gibt es in der Gastronomie- und Ernährungsbranche zahlreiche Beispiele. 

„Restaurants wie Frea in Berlin oder Bunte Burger in Köln beweisen, dass man seinen Gästen mit Qualität und Service auch ohne Fleisch tolle Ausgeh-Erlebnisse verschaffen kann.“

Balázs Tarsoly

Gerade die großen Gastronomen verkaufen aber nach wie vor in großem Stil Burger und Schnitzel – nicht gerade klimafreundlich. Muss man als Gastronom – besonders in diesen schwierigen Zeiten – nicht das anbieten, was die Gäste wollen? 

Balázs Tarsoly: Ich bin der Meinung, dass sich die Gastronomie von den Schnitzel- und Burger-Gästen ein Stück weit emanzipieren sollte. Jetzt gibt es eine historische Chance für die Branche, in dieser Ökonomie des Wandels einen Unterschied zu machen, denn es geht deutlich schneller, sein Essverhalten umzustellen, als Bäume wachsen zu lassen oder die erneuerbaren Energien auszubauen. Dabei können wir nicht mehr darauf warten, bis die Gäste soweit sind.   

Es ist ja nicht richtig, dass immer nur die Nachfrage das Angebot bestimmt: Große Gastronomie-Unternehmen können mit attraktiven Produkten und den entsprechenden Marketing-Kampagnen viel Einfluss nehmen auf das, was die Menschen konsumieren wollen – ein Beispiel ist KFC, das in einem nicht-christlichen Land wie Japan dafür gesorgt hat, dass dort heute im Dezember alle Chicken Wings essen, weil sie von der Fast-Food-Kette als traditionelles Weihnachtsmahl angepriesen wurden. 

Attraktive Produkte sind genau der Punkt: Lange hieß es, niemand kauft pflanzliche Ersatz-produkte, weil sie meistens nicht so gut schmecken … 

Balázs Tarsoly: Klar, wir wollen Glücks- und Genusserlebnisse, da sind wir alle Egoisten und auch Gewohnheitstiere. Pflanzliche Gerichte und Produkte müssen deshalb mindestens so gut sein wie ihre tierischen Vorbilder und dieselben Gefühle versprechen. Grillen zum Beispiel steht in Deutschland nicht nur für Fleisch, sondern auch für Freiheit, Ursprünglichkeit und Gemeinschaft. Aber diese Emotionen kann man ja auch erreichen, wenn man zum Beispiel Gemüse auf den Grill legt.

Restaurants wie Frea in Berlin oder Bunte Burger in Köln beweisen, dass man seinen Gästen mit Qualität und Service auch ohne Fleisch tolle Ausgeh-Erlebnisse verschaffen kann. Und: Das Gefühl, dabei mit nachhaltigerem Konsum ein Teil von etwas Gutem zu sein, kommt noch obendrauf!

CO2lution
CO2Lution

Das Buch CO2lution zeigt, wie Konsumenten und Unternehmer einen wesentlichen Beitrag zur Bewältigung des Klimwandels leisten können. Dahinter steht das Ziel, eine internationale Bewegung für CO2-optimierten Konsum und CO2-optimiertes Wirtschaften zu kreieren.

Das Buch ist ein Wendebuch, das diese beiden Perspektiven beschreibt: Ralf Müller-Amenitsch zeigt in „Das CO(2)nsumokratische Manifest“, wie man durch solidarischen, weltweiten CO2-optimierten Konsum mit mikrorevolutionären Mitteln minimalinvasiv und friedlich das Problem der globalen Erwärmung bewältigen kann.

Balázs Tarsoly stellt in „Die Ökonomie des Wandels“ Strategien vor, wie Unternehmen ihre Sicht von Profit und Erfolg erweitern, ihre Wirkkraft zum Wohle des Planeten nutzen, Wachstum umweltfördernd gestalten, dabei lukrative Geschäftsfelder erschließen und zum Treiber der CO2-Wende werden können.

www.co2lution.com/shop

Die Welt wird übrigens nicht von den 100-prozentigen Veganern gerettet werden, davon gibt es einfach zu wenige. Den größten Beitrag leisten diejenigen, die es vielleicht schaffen, 80 Prozent der tierischen Produkte durch pflanzliche zu ersetzen. Diese Produkte werden immer besser und erleichtern es immer mehr Menschen, sich klimafreundlicher zu ernähren. Wichtig ist, den Gästen zu vermitteln, dass sie etwas tun können und dafür gelobt werden – zum Beispiel durch digitale Belohnungen in einer App. Soziale Anerkennung ist ein starker Motivator! 

Also sollten Gastronomen ihre Gäste stärker bisher in Richtung pflanzlicher Ernährung „schubsen“?

Balázs Tarsoly: Wenn ich als Gastronom wirklich einen Beitrag leisten möchte, dass wir das Sieben-Jahre-Ziel erreichen, kann ich zum Beispiel tageweise keine Fleischgerichte anbieten. Dabei müssen die Gäste auf spaßig-spielerische Art eingebunden werden, beispielsweise mit Gamification-Tools oder Belohnungen. Aber niemals mit erhobenem Zeigefinger. Sondern mit der klar kommunizierten Botschaft: Wir haben verstanden!

Balazs Tarsoly

Balázs Tarsoly ist Gründer und Geschäftsführer der auf Food und Nachhaltigkeit spezialisierten Kreativ-Agentur Branding Cuisine. Seine Arbeiten als Designer sind mit internationalen Designpreisen ausgezeichnet worden, u. a. mit dem red dot communication design award und dem IF communication design award. Mit seiner Agentur ist er Initiator und Veranstalter des WeltverbEsserer-Wettbewerbs, einem Award für nachhaltige Food- und Gastro-Konzepte. Tarsoly ist Mitbegründer von Sustainetwork, The Planet A Business Network, das ein neu gedachtes Wirtschaften in und mit Unternehmen etablieren und so ein respektvolles Miteinander Mensch-Mensch, Mensch-Tier und Mensch-Umwelt realisieren möchte. Er ist Mentor am Edeka Food Tech Campus in Berlin mit den Schwerpunkten Markenkommunikation und Nachhaltigkeit. 

ralf müller Amenitsch

Ralf Müller-Amenitsch arbeitet seit 1993 als selbständiger Rechtsanwalt in Berlin mit den Schwerpunkten Arbeits-, Sozial- und Familienrecht. Seit seiner Auseinandersetzung mit der säkularen Ethik hat er sich als intellektueller Aktivist juristischer Mittel bedient, um die Gesellschaft außerparlamentarisch zu beeinflussen. Er organisiert internationale juristische Symposien zu Tierrechts- und Nahrungsrechtsthemen und setzt sich aktiv als PETA-Experte durch Musterklagen, Vorträge und Kampagnen für die Rechte veganer Menschen ein. Er ist Lehrbeauftragter für pflanzenbasiertes Verbraucherrecht und Tierrechte an der Fachhochschule des Mittelstandes und stellvertretender Obmann der DIN Kommission  sowie internationaler Experte der ISO Kommission (ISO WD 23662) zur Definition der Begriffe „vegan und vegetarisch“ in einem weltweiten Industriestandard. 

Dennoch bleibt es doch ein Risiko, ein bestehendes, erfolgreiches Konzept zu „veganisieren“?

Balázs Tarsoly: Auch da gibt es Beispiele, denen das gelungen ist, wie das Voglhaus am Bodensee: Dort hat man Daten genutzt, die unser Partnerunternehmen Eaternity erhebt, um den Gästen auf der Speisekarte zu verdeutlichen, wie viel mehr CO2 durch ein Gericht mit Tierprodukten ausgestoßen wird im Vergleich zur pflanzlichen Variante – bei einem einfachen Zitronenkuchen ist das rund ein Drittel mehr! Heute ist das Voglhaus zu 99 Prozent vegan – dank der Macht der Daten, die auch die Menschen überzeugen, für die das Label „vegan“ eher abschreckend wirkt. 

„Bei einer Umstellung unserer Ernährung von tierischen auf pflanzliche Produkte innerhalb der nächsten drei Jahre würden wir eine weltweite Reduktion des CO2-Ausstoßes um 20 Prozent erreichen.“

Balázs Tarsoly

CO2lution

Warum kommt gerade der Ernährungswirtschaft und der Gastronomie so eine wichtige Rolle bei der Bekämpfung des Klimawandels zu?

Balázs Tarsoly: Ich würde sogar soweit gehen, dass wir ohne dieses beiden Branchen den Klimawandel nicht aufhalten werden, einfach, weil die verbleibende Zeit so kurz ist. Oder andersherum formuliert: Wenn in der Ernährungswirtschaft nichts passiert, wird der Planet den Bach runter gehen. Weder mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien, noch durch Bäumepflanzen oder dem „Staubsaugen“ von CO2 aus der Luft werden wir das Sieben-Jahre-Ziel einhalten können. Bei einer Umstellung unserer Ernährung von tierischen auf pflanzliche Produkte innerhalb der nächsten drei Jahre würden wir dagegen eine weltweite Reduktion des CO2-Ausstoßes um 20 Prozent erreichen. 

Das klingt unwahrscheinlicher als es ist: Wir stehen kurz vor einer großen Disruption in unserem Essverhalten. Wirtschaftsunternehmen und Wissenschaftler prognostizieren für 2040 ein Verhältnis in unserer Proteinversorgung von einem Drittel Fleisch, einem Drittel pflanzlichen Zutaten und einem Drittel Fleisch aus dem Labor.  Dabei geht es nicht nur um die Reduktion von CO2, auch Lachgas und Methan würden deutlich weniger ausgestoßen. Mit einer pflanzenbasierten Ernährung und der Reduktion von Lebensmittelverschwendung ließe sich das Zeitfenster von sieben Jahren bis zum Kippen des Klimas verdoppeln!

Aber machen die Verbraucher tatsächlich mit? Vor ein paar Jahren sorgte der „Veggietag“ noch für große Empörung!

Balázs Tarsoly: Ich bin überzeugt, dass viele Menschen heute weiter und bereit sind, ihre Gewohnheiten zu ändern. Sie wollen klimafreundlich konsumieren, allerdings fehlen ihnen nach wie vor die Angebote. Man muss diese Initiativen einfach besser vermarkten und attraktiver gestalten – ohne Verbote. Es bringt nichts, die Freiheit der Menschen zu beschneiden. 

CO2lution

Wer nicht mitmachen will, macht eben nicht mit. Wichtig ist, ohne moralischen Impetus an die Sache heranzugehen, sondern entspannt und mit positivem Drive und Lebensfreude! Für Moral bleibt gar keine Zeit.

Wie wird die CO2lution weitergehen?

Balázs Tarsoly: Wir arbeiten derzeit an einer App, die es für die Verbraucher auf einfache und spielerische Art ermöglichen soll, ihren CO2-Fußabdruck zu verringern. Außerdem ist eine Range an Schlüsselprodukten für die Gastronomie in Vorbereitung, die es Gastgebern erleichtert, pflanzliche Alternativen anzubieten. Darüber hinaus unterstützen wir Gastronomen mit strategischer Beratung und bei der Kommunikation rund um die Thematik. 

Fotos & Grafiken: ©CO2lution