Die Macher des digitalen Rezeptbuchs und Trend-Portals FoodBoom haben unterstützt von der Agentur Red Rabbit ihren „We Are Food – Zukunftsreport 2021“ veröffentlicht. Ihr Fazit der jüngsten Entwicklungen in Sachen F&B: Durch die Corona-Krise hat sich unser Verständnis von Food, Konsum und Genuss  nachhaltig verändert. Ausgangspunkt des Wandels ist ein „neuer“ Werte-Kodex: Corona und Lockdown haben Ideale wie Vertrauen, Sicherheit und Authentizität in den Fokus der Menschen gerückt – zu beobachten auch im Konsumverhalten. Corona fungiert außerdem als „Digitalisierungsturbo“ – und diese weithin gestiegene Akzeptanz von digitalen Technologien wird sich zukünftig fortsetzen. FoodBoom-Gründer Sebastian Heinz und Jochen Matzer, Gründer und Geschäftsführer von Red Rabbit, erklären, was das für die Gastronomie bedeutet.  

Herr Matzer, zu welchen Ergebnissen kommt der „We Are Food“-Zukunftsreport in Bezug auf die neuesten Food-Trends?

Jochen Matzer: Man kann mit Fug und Recht sagen, dass sich das gesamte Konsumverhalten in der Corona-Pandemie verändert hat. Viele Menschen haben die Art, wie sie sich ernähren, komplett umgestellt und neu bewertet. Manche Trends, die vor Corona stark waren, wurden zurückgedrängt, andere verstärkt und es gibt auch neue Phänomene.

JochenMatzer

Jochen Matzer ist Experte für Neuproduktentwicklungen mit Fokus auf Food & Beverages, schreibt als Kolumnist und Autor, u.a. für w&v. Mit seiner Agentur Red Rabbit unterstützt er Unternehmen von der Trend- und Marktforschung über strategische Beratung, Ideen- und Neuproduktentwicklung inklusive Design-Umsetzungen bis hin zu den dazu passenden Kommunikations- und Vertriebsstrategien. Foto: Red Rabbit

Grundsätzlich haben Essen und Trinken im Corona-Alltag enorm an Bedeutung gewonnen. Das hat mehrere Gründe: Zum einen wurde natürlich viel häufiger zu Hause gekocht und gegessen, nicht nur während der Lockdowns. Und es wurde vielen Menschen bewusst, wie wenig sie eigentlich vom Kochen und Essen verstehen – was im Rezeptbereich von FoodBoom deutlich zu merken war.

Ein weiterer wichtiger Aspekt, den Corona beeinflusst hat, ist die Strukturierung unseres Alltags, bei der die Mahlzeiten einen wichtigen Part eingenommen haben. Auch weil viele andere Dinge weggefallen sind. Wir sehen, dass viele Verbraucher ihre Speisekammer „neu denken“: Wer mehr zu Hause kocht und dazu lernt, stellt fest, dass die immer gleichen Basics schnell langweilig werden. Der Anspruch an die eigenen Vorräte wird daher wachsen.

Zukunftsreport

Der „WE ARE FOOD – Zukunftsreport 2021“ wurde von der digitalen Plattform FoodBoom initiiert und mit Unterstützung der Hamburger Agentur Red Rabbit herausgegeben. Er beleuchtet die wichtigsten Entwicklungen, Trends und auch Chancen für die Player der Food & Beverage-Branche. Eingeflossen sind unter anderem über 20 Gespräche mit 55 Expertinnen und Experten der Food- & Medienbranche, darunter Trend- und Zukunftsforscherin Corinna Mühlhausen, Christine Nieland, Chief Commercial Officer von Europas größter Food-Plattform Chefkoch, Jürg Knoll vom Lebensmittel-Unternehmen followfood sowie Heinz Grüne vom rheingold Institut. „Wie verändert sich, wie wir uns ernähren und wie wir kochen? Welche Produkte wollen wir in Zukunft kaufen? Und wie werden wir Medien konsumieren? All das sind Fragen, die wir uns gestellt haben“, sagt Fenja Franke, Strategie-Expertin bei FoodBoom. Und stellt fest: „Wo Wandel ist, da gibt es immer auch Chancen, diesen aktiv zu gestalten.“

Höhere Ansprüche heißt konkret?

Jochen Matzer: Hochwertigere Produkte, spannendere Produkte, aber auch nachhaltigere Produkte werden verstärkt nachgefragt. Regionalität und Nachhaltigkeit fungieren als Sicherheitsanker in unsicheren Zeiten, auch wenn Plastik aufgrund des gestiegenen Hygiene-Bedürfnisses an Bedeutung gewonnen hat und zumindest vorübergehend wieder salonfähig geworden ist. Denn gleichzeitig steigert die Pandemie das Bewusstsein für Ressourcenschonung und Food Waste. Beispielsweise greifen immer mehr Konsumenten nach Culinary Misfits, also krumm gewachsenem Obst und Gemüse. 

Einige Meinungsführer halten außerdem Transparenz für den wichtigsten Trend des Jahres 2021: Die Leute wollen wissen, woher ihr Essen kommt, was drin ist und wie es produziert wird. Wer sich wie wir aktuell ständig mit einer drohenden Krankheit beschäftigt, fragt sich außerdem, welchen Beitrag die Ernährung dazu leisten kann, gesund zu bleiben. Probiotische Lebensmittel wie Sauerkraut, Kefir usw. sind auf dem Vormarsch, ebenso wie immunstärkende Nahrungsergänzungsmittel. 

„Das Restaurant wird zum gastronomischen Flaggschiff und im Hintergrund laufen viele zusätzliche Prozesse und Kooperationen mit Produzenten. Das wird sehr spannend!“

Jochen Matzer

Geschäftsführer, Red Rabbit

Gibt es auch Trends, die durch Corona zurückgedrängt wurden?

Jochen Matzer: Da die Menschen viel weniger unterwegs sind, hat sich die ganze Thematik rund ums Snacking vom Außer-Haus-Verzehr in die eigenen vier Wände verlagert. Aber auch zu Hause wird viel zwischendurch gegessen – zum Beispiel als kleine Belohnung oder Stärkung zwischen zwei Online-Meetings.

Wir identifizieren im Zukunftsreport fünf Konsumenten-Typen, die in den kommenden Jahren zu den tonangebenden Zielgruppen gehören werden: Zuerst die sogenannten Balance Seekers – Leute mit einem stressigen, mobilen Lebensstil, die Produkte suchen, die ihnen in ihrem Alltag ein gutes Gefühl geben. Dann die Mindful Hedonists, für die Essen in erster Linie Vergüngen und eine Ablenkung von ihren Sorgen darstellt. Sie suchen ein Restaurant-Erlebnis zu Hause und das Besondere. Die Techno-Optimisten sind stark davon überzeugt, dass wir die aktuellen gesellschaftlichen Probleme nicht bewältigen werden, wenn wir nicht neue technische Lösungen entwickeln.

Die Gegenbewegung dazu sind die Cultivators, also die Selbstversorger, die aus finanziellen Gründen oder weil sie im Home Office ohnehin mehr zu Hause sind, ihre eigenen Lebensmittel anbauen. Zu guter Letzt gibt es die Empowered Localists. Sie wünschen sich ein gerechtes Nahrungsmittelsystem, das primär aus regionalen und lokalen Lebensmitteln gespeist wird – natürlich hochwertig und bezahlbar.

Herr Heinz, welche Trends, auch in Bezug auf die Gastronomie, sehen Sie in Zukunft ganz vorne?

Sebastian Heinz: Es ist wirklich beeindruckend zu sehen, wie Corona Phänomene wie Food Delivery oder Kochboxen beschleunigt, von denen wir vor der Pandemie immer dachten, es könne mal ein bisschen schneller vorwärts gehen. Für die Hersteller von Nahrungsmitteln geht es jetzt darum, diese Bedürfnisse zu adressieren und in Aktionen umzusetzen, zum Beispiel, indem sie ihre Produkte emotionalisieren, in einen neuen Kontext bringen und dem Konsumenten so dabei unterstützen, sich während des Lockdowns, aber auch danach, selbst zu helfen. Unser italienischer Kanal „Oh my Italy“ ist in der Krise massiv gewachsen, weil die Leute nicht in ihr Lieblingsurlaubsland fahren konnten und sich stattdessen das Lebensgefühl nach Hause holen wollten. Das Ziel muss sein, Gefühle und Atmosphäre dieser Lieblingsorte mit den passenden Produkten und Angeboten zum Kunden zu transferieren. 

Zukunftsreport

Balance Seeker, Mindful Hedonist, Techno Optimist, Cultivator oder Empowered Localist? Der FoodBoom-Zukunftsreport definiert fünf Konsumtypen, die in den kommenden Jahren maßgeblich auch die Entwicklung neuer Produkte beeinflussen werden.

Jochen Matzer: Es gibt zahlreiche Beispiele, wie gerade Vertreter der hochwertigen und Szene-Gastronomie die Krise meistern, indem sie Kochboxen verschicken. Da entstehen ganz neue Geschäftsmodelle, die natürlich auf die Marke einzahlen.

Welche Voraussetzungen müssen die Produkte erfüllen, die man in solche Boxen packt?

Jochen Matzer: Die Boxen sollten natürlich so konfiguriert sein, dass sie zur Identität des Restaurants passen, ohne überflüssigen Schnickschnack. Die Produkte müssen eine ausreichende Mindesthaltbarkeit gewährleisten, einen hochwertigen Twist haben und auch nach dem Versand noch gut aussehen. Man muss das schon professionell aufziehen. Wichtig ist, dass die Besteller zu Hause damit gut umgehen können und trotzdem das Gefühl haben, etwas Besonderes zu essen – wie sonst in der Gastronomie.

Werden wir diese Kochbox-Angebote auch nach dem Lockdown noch sehen? Als Gastronom kann man so ja seine Reichweite über die eigene Stadt hinaus deutlich erhöhen.

Jochen Matzer: Ich glaube, dass viele Gastronomen, die jetzt damit erfolgreich sind, dieses neue Standbein auch nach dem Lockdown nicht aufgeben werden. Ich könnte mir außerdem vorstellen, dass mancher sich auch Gedanken macht, ob sich die für den Versand entwickelten Produkte nicht auch unter der eigenen Marke im Handel platzieren lassen.

Sebastian Heinz

Multi-Channel-Marketing-Spezialist Sebastian Heinz gründete gemeinsam mit Profikoch und Produktentwickler Hannes Arendholz FoodBoom, ein Hamburger Start-Up, das unter anderem Kochvideos und Rezepte ins Netz stellt und damit bis zu 23 Millionen Menschen pro Monat erreicht. Zum Team gehören Profiköche und Foodstylisten ebenso wie Ernährungswissenschaftler, Fotografen und Redakteure bis hin zu Analytikern, Social Media-Experten und Vermarktungsprofis. Foto: FoodBoom

Sebastian Heinz: Wir gehen davon aus, dass sich der gesamte Bereich des gastronomischen Lieferservice im Zuge von Corona noch einmal massiv professionalisieren wird, was die Logistik, die Rezepturen und das Packaging angeht. Es wird nicht funktionieren, Delivery und Versand nur nebenher zu betreiben. Die Grenzen werden verschwimmen zwischen einem Gastro-Lieferprodukt und einem Premium-Convenience-Produkt im LEH: Da werden viele Partnerschaften entstehen, gerade auch unter mittelständischen Unternehmen, bei denen Testimonials aus der Gastronomie Pate für ein Produkt stehen. 

Jochen Matzer: Andere Gastronomen werden das Phänomen der Ghost Kitchens nutzen, um als Ergänzung zu ihrem Restaurant Produkte für Lieferservice und LEH herzustellen und zu vertreiben. Da entstehen gerade sehr interessante Geschäftsmodelle. Das Restaurant wird zum gastronomischen Flaggschiff und im Hintergrund laufen viele zusätzliche Prozesse und Kooperationen mit Produzenten. Das wird sehr spannend! 

Sebastian Heinz: Die Tatsache, dass während des Lockdowns viele Konsumenten hochwertige Convenience-Produkte schätzen gelernt haben, ebnet dieser Entwicklung den Weg. 

Zukunftsreport

Creator, die auf Instagram, YouTube, Twitch & Co. teils immense Reichweiten generieren, sind beim Food-Marketing im Aufwind.

Wird sich mit Corona auch endlich die Wertschätzung von Lebensmitteln erhöhen – sprich: Ist jetzt die Zeit, angemessenere Preise durchzusetzen?

Sebastian Heinz: Man muss unterscheiden zwischen dem Bedürfnis der Ernährung und der Selbstverwirklichung durch Essen. Beim Sattwerden im Alltag geht es immer um kostengünstige und schnelle Versorgung, Nachhaltigkeit spielt da eine untergeordnete Rolle. Ganz anders sieht es aus, wenn Kochen und Essen als Mittel zur Selbstverwirklichung fungieren. Viele Verbraucher haben in den vergangenen Monaten gemerkt, wie schwierig die schöne und genussvolle Atmosphäre eines Restaurants zu Hause herzustellen ist. Die Wertschätzung für das Gesamterlebnis, das die Gastronomie bietet, ist deutlich gewachsen. Das fängt schon beim einfachen Burger an, der von freundlichem Personal schön präsentiert wird. Der Konsument wird in Zukunft deutlich differenzieren, wofür er bereit ist, Geld zu bezahlen. 

Der FoodBoom Zukunftsreport ist überschrieben mit „Coming Home“, das Cocooning einer der wichtigsten Trends – klingt eigentlich nicht nach guten Nachrichten für die Gastronomie, wenn sie denn wieder öffnen darf. Werden die Deutschen nach Corona nur noch zu Hause hocken?

Sebastian Heinz: Es wird sicher normaler werden, sich hochwertiges Essen von einem Restaurant nach Hause oder auch in ein Meeting liefern zu lassen. Gerade die B2B-Zielgruppe war immer schon bereit, viel Geld auszugeben, um ihre Kunden beispielsweise mit tollem Sushi am Konferenztisch zu beeindrucken, aber bisher gab es die passenden Angebote nicht. Also hat man wieder die Keksdose herausgeholt. Doch das ändert sich gerade.

Trotzdem man sollte man die klassische Gastronomie natürlich keinesfalls abschreiben, im Gegenteil: Gastronomen tun gut daran, sich ihr Stück vom Kuchen zu sichern. Die während des Lockdowns gewonnenen Erfahrungen werden dabei helfen!

Jochen Matzer: Gerade in der Betriebsverpflegung wird die Lieferung von außen immer wichtiger. Akteure wie Stadtsalat werden angreifen und einen Teil des B2B-Geschäfts übernehmen. Wer mitmischen will, sollte sich mit einem professionellen und hochwertigen Angebot zu entsprechenden Preisen abheben. Auch das untere Segment mit sehr günstigen Angeboten wird weiter prosperieren. Schwierig wird es für die in der Mitte positionierten Konzepte. Sie werden in Zukunft ihre Existenzberechtigung beweisen müssen.

Der „WE ARE FOOD – Zukunftsreport 2021“ ist sowohl als Online- sowie als Print-Version auf https://www.foodboom.de/wearefood erhältlich.