Deutschlands Hotellerie und Gastronomie im Sommer 2020: Eine emotionale und unternehmerische Achterbahnfahrt zwischen Verzweiflung, Hoffnung, Engagement und Resignation, Kampfmodus und Überlebenswille. Kein Betrieb, der nicht massiv von den Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie betroffen wäre. Abstandsregeln und Hygienevorgaben machen das Arbeiten und Geldverdienen schwierig. Gleichzeitig verbringen in diesem Jahr viel mehr Deutsche ihren Urlaub im Heimatland als normalerweise, während wiederum die internationalen Gäste vielerorts fehlen. Auch wir sind in diesem Jahr statt ins Ausland durch Deutschland gereist: Sechs Bundesländer, ein gutes Dutzend Hotels, tagsüber Café-Besuche und jeden Abend ein anderes Restaurant vermitteln einen – nicht repräsentativen – Querschnitt des Zustands des deutschen Gastgewerbes in diesem so außergewöhnlichen Sommer. Hier unser – sehr subjektives – Fazit:

Hygiene

Diverses Bild

 

Um es gleich vorab zu sagen: Das Bild, das Gastronomie und Hotellerie in den verschiedenen Teilen Deutschlands derzeit vermitteln, ist breit gefächert. Nicht nur, weil in allen Bundesländern unterschiedliche Regeln im Kampf gegen Corona gelten, sondern auch, weil diese offenbar wenig einheitlich umgesetzt werden. Zwar herrscht allgemein Maskenpflicht in allen öffentlichen Bereichen außer im Hotelzimmer und am Restauranttisch, ob sie aber eingehalten wird, steht tatsächlich auf einem anderen Blatt. Gruppen von maximal zehn Menschen an einem Tisch? Auch diese Regel gibt es immer noch, doch auch sie kümmert längst nicht jeden Gastronomen.

 

So versammelten sich beispielsweise 20 augenscheinliche Vertreter der Ü70-Risikogruppe an einer langen Tafel beim Griechen, immerhin im Außenbereich. Bedient wurden sie vom unmaskierten Inhaber des Restaurants. Dessen Mitarbeiter übrigens ihre Münder und Nasen folgsam bedeckten. Anderswo reinigen Angestellte die eng beieinanderstehenden Tische im Frühstücksraum des Hotels mit unterm Kinn hängendem Mund-Nasen-Schutz und den immer gleichen Lappen. Am Eingang der schriftliche Hinweis für die Gäste: Bitte Plastikhandschuhe anziehen!, ergänzt von der mündlichen Anmerkung, man habe gerade leider keine da.

Corona

Digital oder per Hand? Die Datenerfassung gehört zu den wichtigen Maßnahmen zur Eindämmung des Infektionsgeschehens. Nur wenige der von uns besuchten Gastronomen nutzen dafür digitale Tools. Alle Fotos: Barbara Schindler

Die Mehrheit kämpft darum, die zweite Welle zu verhindern

Nur zwei kritische Beobachtungen von vielen, die von nicht erhobenen Kontaktdaten bis hin zu derzeit unbotmäßiger Annäherung an das Gesicht der Gäste bei der Klärung von Fragen zur Speisekarte reichen. Und die ganz im Gegensatz stehen zur großen Sorgfalt, mit der andere Kollegen – die Mehrheit! – sich bemühen, allen Anforderungen gerecht zu werden, Gäste und Mitarbeiter zu schützen und ihren Beitrag zur Verhinderung einer zweiten Infektionswelle zu leisten. Sie und ihre Ideen zeigen, mit welcher Kreativität die Branche durch die Krise steuert: Das Frühstück am Vorabend bestellen? Warum denn eigentlich nicht, meistens wählt man doch sowieso das, was man immer isst.

Hygiene

Aus vier verschiedenen Frühstücksoptionen auswählen? Klar, kein Problem, erst recht nicht, wenn der Joghurt mit Früchten oder das Rührei zusätzlich bestellt werden können. Ein Zeitfenster für das Frühstück vorab „buchen“? Wenn es hilft, dass der Andrang nicht zu groß wird, auf jeden Fall! Sogar Büffets mit Fullservice durch das Personal funktionieren, zwar etwas umständlich und wenn es sich auch nicht erschließt, warum man seinen Teller nicht selbst an den Platz tragen darf. Aber lieber zu vorsichtig als zu nachlässig! Bei der Kontaktdatenerfassung setzt der allergrößte Teil der Betreiber übrigens nach wie vor auf Stift (desinfiziert?) und Papier. Die Chance, jetzt die Digitalisierung mit einem der zahlreichen, häufig kostenlosen Registrierungstools voranzutreiben, wird anscheinend noch verhältnismäßig selten genutzt.

Jetzt geht es um alles

Die Erfahrungen zeigen: Man kann sich trotz Corona in deutschen Restaurants und Hotels im Sommer 2020 ausgesprochen wohlfühlen. Das liegt neben passgenauen Konzepten vor allem an den Mitarbeitern, die in Sachen Freundlichkeit vielerorts noch „eine Schippe draufgelegt“ haben. Vielen dürfte bewusst sein, dass es um alles geht in diesen Tagen. Denn genau jetzt ist auch angesichts wieder steigender Infektionszahlen die Zeit, ausreichend Vertrauen bei den Gästen aufzubauen, die dann hoffentlich auch im Herbst und Winter an die Sicherheit der Maßnahmen glauben, mit denen in der kalten Jahreszeit die Bewirtung in Innenräumen ermöglicht werden soll.

Corona

Kommt nicht so gut: Wer die Umwelt schonen möchte, den interessieren die finanziellen Nöte von Hotelbetreibern noch lange nicht. Auch der Hinweis, man möge das Frühstücksgeschirr bitte wegen Corona selbst abräumen, ruft nicht immer Solidarität hervor. 

Von Corona-Angst war in den von uns besuchten Betrieben noch wenig zu spüren – schon gar nicht bei den oben erwähnten, ausgesprochen fidelen Senioren am 20er Tisch. Ihr Beispiel zeigt, wie wichtig vertrauensbildende Maßnahmen sind, die es auch Risikogruppen ermöglichen, weiterhin am Leben teilzunehmen. Doch ob sie in Innenräumen ähnlich mutig sind wie draußen? Fraglich. Der Herbst und seine sinkenden Temperaturen werden deshalb die größte Bewährungsprobe für die Branche seit Langem. Dabei geht es nicht nur darum, dass jeder einzelne Unternehmer bald konkret wissen und kommunizieren sollte, wie er das Infektionsrisiko in seinen Innenräumen minimiert.

Vertrauen ist die Grundlage

Die Branche muss als Ganze unmissverständlich klar machen, dass sie Corona ernst nimmt und alles tut, um eine zweite Welle, von der sie selbst wohl mit am dramatischsten betroffen wäre, zu verhindern. Die Verweigerer und Disziplinlosen sollten ganz schnell verstehen, dass sie zu allererst ihre eigene Existenz gefährden. Denn: Jede über die Maske hängende Nase eines Mitarbeiters, jeder schlampig gereinigte Tisch sendet ein falsches Signal! Nicht, weil sie zwingend zu einem Anstieg der Infektionen führen (was schlimm wäre!), sondern weil sie die Grundlage dafür zerstören, dass die Gastronomie überhaupt eine Chance hat, den bevorstehenden Corona-Winter irgendwie zu meistern: das Vertrauen der Gäste.