In München steht ein Hofbräuhaus, heißt es im volkstümlichen Schlager. Streng genommen sind es aber sogar zwei: Im Vorort Brunnthal werden seit ein paar Jahren alle Speisen bedarfsgenau vorbereitet und für den effizienten Einsatz in der Küche des Traditionswirtshauses kommissioniert. Möglich macht das modernste digitale Technik.  Für das Schweizer Magazin Chef-Sache hat Hofbräuhaus-Chef Michael Sperger uns exklusiv erzählt, wie die Technologie heute die Abläufe im berühmtesten Wirtshaus der Welt steuert. 

Das Hofbräuhaus ist mit seiner bald 500-jährigen Geschichte eine Institution in München – für Einheimische ebenso wie für Besucher: Allein 100 aktive Stammtische treffen sich hier regelmäßig. Das berühmteste Wirtshaus der Welt ist außerdem fester Programmpunkt für viele der fast 9 Mio. Touristen, die die bayrische Landeshauptstadt jedes Jahr besuchen. Die Marke steht international sinnbildlich für die deutsche Bierkultur und das Brauereiwirtshaus schlechthin. 

Hofbräuhaus

Schmecken, nicht sehen

Ausgerechnet dieses traditionsreiche Haus zählt zu den digitalsten Unternehmen der Branche in Deutschland – allerdings würde das kaum ein Gast vermuten. Für Wirt Michael Sperger, der das Hofbräuhaus gemeinsam mit Bruder Wolfgang führt, ist genau dies das Ziel: „Bei uns schmeckt man die Digitalisierung, aber man sieht sie nicht.“ 

Heißt: Der Hochleistungsbetrieb mit 3.500 Sitzplätzen ist auch in Zeiten des Fachkräftemangels in der Lage, seinen jährlich bis zu 2 Mio. Gästen das seit jeher vertraute Wirtshauserlebnis mit frischen Speisen und Getränken in bester Qualität zu bieten – dank des Einsatzes intelligenter Technik und exakter Daten im Hintergrund.   

15 Jahre Erfahrung mit der Digitalisierung

Während manch Gastronom noch mit dem Einsatz eines elektronischen Kassensystems hadert, blickt Sperger bereits auf 15 Jahre Erfahrung mit dem Thema Digitalisierung zurück. „Schon 2007 waren wir zunehmend überfordert, unseren Qualitätsansprüchen gerecht zu werden“, erinnert sich der Wirt. „Es war notwendig, uns effizienter aufzustellen.“ 

Hofbräuhaus

Die Abläufe in der Küche des Hofbräuhauses werden über digitale Bildschirme gesteuert: Sie zeigen jedem Mitarbeiter jederzeit an, was gerade zu tun ist.   Alle Fotos: Hofbräuhaus

Um die Kapazitäten am Standort in der engen Münchner Altstadt zu entlasten, installierte man im Vorort Brunnthal eine Produktion mit eigener Metzgerei, Bäckerei und Konditorei samt vollautomatischem Hochregallager. Hier werden die verschiedenen Komponenten für die rund 40 Gerichte auf der Speisekarte am Vortag frisch vorbereitet und anschließend per Kühl-LKW ins 20 km entfernte Hofbräuhaus gefahren. „Allerdings reicht es nicht, Material und Lebensmittel von A nach B zu bringen – mindestens genauso wichtig ist der Austausch von Informationen zwischen den Standorten“, kommentiert Sperger. „Das funktioniert nicht mit Excel-Tabellen.“ Das zunächst eingerichtete Warenwirtschaftssystem stieß bald an seine Grenzen, sodass 2016 die Entscheidung fiel: Jetzt digitalisieren wir richtig!

Warenfluss steuert sich von selbst

Heute werden sämtliche Produktions- und Logistikprozesse rund um das Hofbräuhaus in einem auf den Betrieb zugeschnittenen ERP-System digital abgebildet, wodurch sich der Warenfluss zwischen den operativen Einheiten nahezu von selbst steuert. Rund 10.000 Artikel von Speise-, Getränke- und Saisonkarten wurden dafür erfasst. „Wir produzieren in unseren eigenen Manufakturen pro Tag 2 bis 3 Tonnen frische Lebensmittel aus regionalen und saisonalen Zutaten“, verrät Sperger.

Wieviel und was genau, darüber entscheidet eine Software, die alle Daten über Wetter, Wochen- und Feiertage, Trends, Verhaltensweisen und Auslastung analysiert und die Ergebnisse in Echtzeit an die operativen Touchpoints ausspielt. So steht alles immer dort zur Verfügung, wo es gebraucht wird – mit entsprechend positiven Auswirkungen auf die benötigten Lagerkapazitäten, den Mitarbeitereinsatz sowie die Food Waste-Quote.

Hofbräuhaus

Im Hochregallager im Vorort Brunnthal warten rund 10.000 Artikel auf ihren Einsatz im Hofbräuhaus.

Zehn Küchenposten mit festgelegten Aufgaben

Gibt der Service im Hofbräuhaus eine Bestellung ins Kassensystem ein, wird diese automatisch an einen von zehn Küchenposten weitergeleitet. Dort erscheint sie unter Berücksichtigung der benötigten Zubereitungsdauer zum genau richtigen Zeitpunkt auf einem Monitor, damit alle Speisen an einem Tisch gleichzeitig serviert werden können. „Jedem Posten in der Küche sind bis zu fünf bestimmte Gerichte zugeordnet“, präzisiert Sperger. „Die jeweiligen Mitarbeiter sind auf diese Artikel geschult und erhalten von Helfern die benötigten Zutaten. Diese werden im selben Moment aus dem Warenbestand ausgebucht, sodass wir immer genau wissen, was in welchen Mengen vorhanden ist.“ 

Metzgerei

Die Digitalisierung ermöglicht es, dass vieles, was im Hofbräuhaus auf die Teller kommt, in der eigenen Metzgerei hergestellt wird. 

Hofbräuhaus

Der Gast erwartet im Hofbräuhaus traditionelle Gastlichkeit. Er soll von den hochtechnisierten Prozessen im Hintergrund nichts mitbekommen.

So kommt die Küche im Hofbräuhaus mit gerade einmal sechs ausgebildeten Köchen aus, die von etwa 20 ungelernten Kräften unterstützt werden. Auch die Getränkeausgabe läuft volldigital ab: Die computergesteuerte Schankanlage zapft exakt die richtige Menge ins Glas und reduziert im selben Moment den erfassten Lagerbestand entsprechend. Selbst das Spülgut wird nicht mehr im Hofbräuhaus selbst gereinigt, sondern einmal am Tag gegen saubere Teller aus Brunnthal ausgetauscht.

„Mittlerweile fordern unsere Mitarbeiter – und die, die es werden wollen – die digitale Unterstützung ein, weil es ihren Arbeitsalltag sehr viel leichter und planbarer macht. Es gibt deutlich weniger Konflikte und wir können Sprachbarrieren leichter überwinden.“

Michael Sperger

Geschäftsführer, Hofbräuhaus München

Kritische Stimmen sind verstummt

War es schwierig, das an traditionelle Abläufe gewohnte Team bei der Einführung der neuen Technik mitzunehmen? „Anfangs gab es viele kritische Stimmen“, berichtet Sperger. „Aber mittlerweile fordern unsere Mitarbeiter – und die, die es werden wollen – die digitale Unterstützung ein, weil es ihren Arbeitsalltag sehr viel leichter und planbarer macht. Es gibt deutlich weniger Konflikte und wir können Sprachbarrieren leichter überwinden.“

Stammgäste

Deutschlands traditionsreichstes Gasthaus ist dank Digitalisierung fit für die Zukunft. 

Zwar beschäftigt das Hofbräuhaus heute nicht weniger Menschen als früher, man ist jedoch weniger auf gelernte Kräfte angewiesen. „Anfangs hatten wir keine Ahnung, was Digitalisierung wirklich bedeutet“, resümiert Sperger. „Aber inzwischen macht es Spaß. Wir stehen nach Corona besser da als viele andere. Die Digitalisierung hilft uns dabei, auch mit weniger Fachkräften Ultrafrische auf Sushi-Niveau zu servieren – und das ist genau das, was der Gast schmeckt.“