Die Corona-Krise hat auch den Weinkonsum in Deutschland verändert. So hat das Marktforschungsinstitut GfK ermittelt, dass die Verbraucher im März 2020 rund ein Drittel mehr Wein im Einzelhandel gekauft haben als im Vergleichszeitraum 2019. Kein Wunder, waren doch gemütliche Abende in der Gastronomie ab Mitte März wegen des Corona-Lockdowns nicht mehr möglich, Dienst- und Urlaubsreisen fielen aus. Also wurde mehr zu Hause konsumiert. Doch spätestens jetzt, wo die Restaurants mit Auflagen wieder öffnen dürfen, stellt sich für Gastronomen die Frage: Welche Weine sind aktuell angesagt? Wie baue ich meine Weinkarte auf, damit sie bei meinen Gästen Anklang findet? Und wohin gehen die Trends in den kommenden Monaten? Wir haben mit Deutschlands führender Weinexpertin Natalie Lumpp gesprochen, womit Gastronomen Weinliebhaber und solche, die es werden wollen, in diesem Sommer begeistern können.

Natalie Lumpp

Die Baden-Württembergerin Natalie Lumpp ist eines der bekanntesten Gesichter der deutschen Weinbranche. Als Sommelière arbeitete sie in renommierten Spitzenbetrieben, von der Traube Tonbach und dem Hotel Bareiss in Baiersbronn bis hin zum Schlosshotel Bühlerhöhe. Durch den Gewinn des Badischen Weinwettbewerbs im Jahr 1993 und die Trophée Ruinart, die ihr den Titel „Bester Sommelier Deutschlands 1997 “ einbrachte, wurde sie deutschlandweit bekannt. Heute ist Natalie Lumpp als freiberufliche Weinberaterin tätig, schreibt regelmäßig Weinbücher und Kolumnen und ist regelmäßig im Fernsehen zu sehen.

Frau Lumpp, wie verkraftet die Wein-Welt die Corona-Krise mit der Absage der wichtigen Messe ProWein und der vorüber-gehenden Schließung der Gast-ronomie?

NL: Mein Eindruck ist, dass die Weinbranche den Lockdown wirtschaftlich ganz gut überstanden hat, zumindest dienjenigen Akteure, die nicht zu stark auf die Gastronomie fokussiert sind. Viele Verbraucher haben sich die Zeit zu Hause mit einem guten Glas Wein erträglicher gestaltet, sodass die Einbrüche nicht so gravierend waren wie in anderen Branchen. Leider hat es die Gastronomie am allermeisten erwischt.

Langsam normalisiert sich das Leben wieder. Welche Weintrends sehen Sie für diesen Sommer in der Gastronomie?

NL: Regionalität wird immer wichtiger. Das entspricht dem Zeitgeist in doppelter Hinsicht: Anders als noch vor zehn Jahren möchten Weintrinker sich heute lieber ein Glas mehr gönnen und sich am nächsten Tag gut fühlen, als zu starke und kräftige Weine zu konsumieren. Gefragt sind deshalb zurzeit vermehrt fruchtig-leichte Weine, teilweise mit weniger Alkohol, bei denen deutsche Winzer ganz vorne mit dabei sind. Deutsche Weine kommen außerdem dem Wunsch nach naturnaher Bewirtschaftung und Erzeugung entgegen.

Dieser Trend spiegelt sich längst auch in der Qualität wider. Da sind wir inzwischen auf dem höchsten Niveau, das wir je hatten, was mittlerweile auch international anerkannt wird. 

Welche Rebsorten sind momentan besonders beliebt?

NL: Ich bin überzeugt, dass der Weißburgunder zum neuen Trendwein wird. Aktuell läuft auch Grauburgunder noch ausgesprochen gut. Damit kann man nichts verkehrt machen. Beim Weißburgunder kann Deutschland seine Stärken ausspielen, kaum ein Land macht besseren! Wobei der Pinot Bianco aus Südtirol und Weißburgunder aus Österreich durchaus mithalten können.

„Deutschland hat seit einigen Jahren das ideale Klima für guten Rotwein.“

Natalie Lumpp

Weinexpertin und Sommelière

Was ist mit dem deutschen Aushängeschild Riesling?

NL: Beim Riesling haben leider immer noch viele Menschen Angst vor der Säure. Dabei kommt es natürlich darauf an, dass die Säure ausbalanciert ist – dann ist und bleibt der Riesling der König der Weißweine. Gastronomen sollten ihren Gästen mit einem guten und bekömmlichen Riesling die Angst vor der Säure nehmen. 

Es gibt übrigens Studien, die besagen, dass ein Glas Weißwein zum Essen zur Gewichtsreduktion beitragen kann, weil die Säure bei der Aufspaltung von Fett und Eiweiß hilft und der Alkohol die Verbrennung im Körper anregt. Riesling macht also schlank!

Kann Rotwein das auch? Was ist hier angesagt?

NL: Auch wenn der eine oder andere das anzweifelt: Deutschland hat seit einigen Jahren das ideale Klima für guten Rotwein. Anders als im sonnenreichen Südafrika oder Kalifornien, kämpfen die Winzer hier nicht mit Rotweinen, die regelmäßig 14 oder 15 Volumen-Prozent aufweisen. Inzwischen reifen hierzulande auch Cabernet Sauvignon und Syrah mit viel Eleganz.

Natalie Lumpp

Völlig unterschätzt wird noch der deutsche Merlot: eigentlich Everybody’s Darling, nett und geschmeidig. Merlots aus deutscher Produktion verfügen über außergewöhnliche Mineralität und Finesse – eine ganz neue Qualität. Spannend ist auch das deutsche Pendant zum Syrah, der Lemberger: Hier gibt es würzige Weine, die nach Pfeffer und Lorbeer riechen, kraftvoll und langlebig sind.

Welche Weine sollten Gastronomen – jenseits von Fine Dining – idealerweise offen auf der Karte anbieten?

NL: Beim Weißwein sollte ein knackiger Riesling dabei sein – nicht unbedingt teuer, aber gute Qualität. Außerdem ein Sauvignon Blanc als „Einstiegsdroge“, vor allem für junge Leute. Vielleicht noch einen klassischen, rund-geschmeidigen Chardonnay. Und am besten auch noch einen Weiß- oder Grauburgunder. Beim Rosé, dessen Qualitäten übrigens auch immer besser werden, braucht man einen fruchtigen und einen trockenen, um alle Geschmacksvorlieben abzudecken.

„Dass eine Flasche Wein im Restaurant nur maximal 30 Euro kosten darf, ist leider ein weitverbreiteter Irrtum.“

Natalie Lumpp

Weinexpertin und Sommelière

Beim Rotwein? Gerne einen typisch deutschen, eleganten Spätburgunder. Dann eine pfiffige, vielschichtige Cuvée – ebenfalls ein Trend, der nicht mehr wegzudenken ist. Toll zu Fleischgerichten sind auch Weine im Syrah-Stil, da sollte dann auch auf jeden Fall etwas aus Europa, am besten ein Italiener oder Spanier dabei sein. Und natürlich gibt es auch aufregende Weine aus Übersee, vor allem von jungen Winzern, die sagen: „Wow, hier bin ich!“

Natalie Lumpp

Welche Tipps haben Sie bei den Flaschenweinen?

NL: Auch da gibt es viele junge Winzer mit einem ausgezeichneten Preis-Leistungsverhältnis. Darüber hinaus ist es aber auch immer ratsam, den einen oder anderen teuren Wein für besondere Anlässe im Sortiment zu haben. Egal, ob der nur zwei- oder dreimal im Jahr bestellt wird. Dann habe ich eben keine zwölf Flaschen davon im Keller, sondern nur vier oder fünf. Manchmal wollen die Gäste es sich eben gutgehen lassen oder sie haben etwas zu feiern.

Ich persönlich hasse nichts mehr, als wenn ich in einem angesagten, guten Restaurant einen Wein bestellen möchte und alle kosten zwischen 20 und 30 Euro. Dass eine Flasche   

Wein im Restaurant nur maximal 30 Euro kosten darf, ist Unsinn – aber leider ein weitverbreiteter Irrtum. Jeder Gast sollte die Chance haben, nach seinem Bedürfnis etwas Gutes zu bekommen – und auch mal mehr auszugeben. Wichtig ist eine gute Mischung aus risikolosen Klassikern, preiswerten Geheimtipps und dem etwas teureren Besonderen.

Wie oft sollte ein Gastronom seine Weinkarte überarbeiten?

NL: Früher galt: Viel hilft viel, Weinkarten waren umfangreich wie Bücher, blieben aber jahrelang unverändert. Heute gestaltet man eher kleinere Sortimente, die aber häufiger auf den neuesten Stand gebracht werden, um Trends abzubilden. Zwei- bis dreimal im Jahr sollte man da auf alle Fälle rangehen. Gäste schätzen heute ein kleines, aber aktuelles Angebot.

Was ist bei der Präsentation zu beachten?

NL: Ich erlebe es immer häufiger, dass man statt einer Weinkarte ein iPad bekommt. Das spricht vor allem junge Leute an und signalisiert Aktualität. Ältere Gäste haben dagegen manchmal ein Problem damit und brauchen mitunter Hilfe durch den Service. Generell müssen Weinkarten weg vom Elitären, stattdessen witzig und unterhaltsam sein.

Das gilt auch für die Präsentation am Tisch, die nicht unbedingt im altmodischen Weinkühler geschehen muss. Da gibt es längst interessantere Möglichkeiten. Witzig sind auch Apps, die Etiketten scannen und dann eine Geschichte zum Wein erzählen. Letztendlich geht es darum, Wein lebendig zu machen, damit jeder sich herantraut und Spaß daran hat.

Junge Leute suchen heute gezielt nach coolen Etiketten und Weinen mit einer interessanten Geschichte. Die finden sie in modernen Weinbars, die ausschließlich Hingucker-Weine anbieten. Schmecken müssen sie natürlich auch.

DWI: Weinabsatz wandert von der Gastro in den LEH

Wein

Im ersten Quartal dieses Jahres griffen die deutschen Verbraucher verstärkt zu heimischen Weinen. Dadurch ist der Absatz deutscher Weine im Vergleich zum Vorjahresquartal um vier Prozent und der Umsatz um zwei Prozent gestiegen. Dies geht aus dem Haushaltspanel des Marktforschungsinstituts Nielsen hervor, das vom Deutschen Weininstitut (DWI) neu beauftragt wurde, ab diesem Jahr die Weineinkäufe in Deutschland zu beobachten. Wie aus der Marktanalyse weiterhin hervorgeht, war mit dem Einsetzen der coronabedingten Restriktionen im März im Vergleich 

zum März des Vorjahres ein besonders starker Zuwachs von jeweils rund 9,5 Prozent bei der Einkaufsmenge und im Umsatz zu verzeichnen. Über alle Weinherkünfte gesehen, blieben die eingekauften Weinmengen im ersten Quartal 2020 konstant.

Die vielen Betriebe, die vorrangig außerhalb des Lebensmittelhandels vermarkten stehen damit vor großen Herausforderungen. Im Vergleich zum Vorjahr haben Weingüter im ersten Quartal 50 Prozent ihrer Absätze in die Gastronomie und 23 Prozent der Absätze in den Fachhandel verloren. Durch die globale Reichweite der Krise ist auch der Weinexport der Weingüter um 33 Prozent zurückgegangen.

Die Verbraucher haben jedoch verstärkt über den Onlinehandel gekauft, der bei den Weingütern um 42% gestiegen ist, womit ein kleiner Teil der Quartalsverluste der Weingüter in Höhe von 13 Prozent kompensiert werden konnte. Durch die anhaltenden Einschränkungen des öffentlichen Lebens im April und Mai sind für die Weingüter und Genossenschaften für das zweite Quartal deutlich höhere Verluste zu erwarten, während die Kellereien weiter von den Zuwächsen im Lebensmitteleinzelhandel profitieren dürften.

 

Wie lassen sich diese Etiketten und Geschichten auf einer Weinkarte im Restaurant präsentieren?

NL: Man kann durchaus die Etiketten auf der Karte zeigen. Viele Winzer gestalten sie inzwischen so, dass sie eine Handschrift und einen Wiedererkennungswert haben. Eine Weinkarte sollte heutzutage klar gegliedert sein: in leichte und kraftvolle Weißweine, bzw. Rosés und leichte und kraftvolle Rotweine. Damit der Gast weiß, was er zu seinem Essen bestellen soll. Bei der Orientierung hilft es auch, jeweils drei Attribute dazuzuschreiben. Die Beschreibung sollte insgesamt kurz und knackig, nicht ausufernd sein, sondern nachvollziehbar, ansprechend und gerne phantasievoll. 

Wird der Klimawandel den Weinbau in Deutschland maß-geblich verändern?

NL: Nicht so drastisch, wie einige sagen. Ja, es gibt mittlerweile auch Weinbau weiter im Norden von Deutschland, sogar auf Sylt oder am Brocken. Aber qualitativ bringt das noch keine ernstzunehmenden Ergebnisse. Manche frühere 1B-Lage ist aufgrund längerer Reifezeit jedoch inzwischen eine 1A-Lage. Früher hieß es auch, am Nordhang wächst nur Essig. Mit den insgesamt wärmeren Temperaturen ändert sich da schon einiges.

Natalie Lumpp

Fotos Natalie Lumpp: Klaus Hennig-Damasko, Armin Faber