Der Kampf gegen die Überhand nehmende Plastikflut beschäftigt Verbraucher, Händler und Gastronomen. 8 Mio. Tonnen Plastik landen jedes Jahr in den Ozeanen. Mit 11,7 Mio. Tonnen ist Deutschland europäischer Spitzenreiter beim Plastikverbrauch. Initiativen, das zu ändern, gibt es inzwischen einige. Viele Gastronomen füllen den Kaffee mittlerweile auch in vom Kunden mitgebrachte Mehrweg-Becher. Dass das nur ein Anfang sein kann, davon sind Franziska Geese, Jenny Fuhrmann und Christine Müller überzeugt: In ihrem Frankfurter Laden und Café ‚gramm.genau‘ verzichten sie komplett auf Plastik – und möglichst auch auf andere Verpackungen. 

„Die Idee hinter gramm.genau ist, ein Ladenkonzept zu entwickeln, in dem die Menschen möglichst ohne Müll zu produzieren und ressourcenschonend einkaufen können“, erklärt Jenny Fuhrmann. Ein Vorab-Test in einem Bio-Laden ergab jedoch, dass das in anderen Unverpackt-Läden praktizierte Prinzip der Spender, an denen sich die Kunden mit Nudeln, Reis und Müsli selbst bedienen können, recht aufwändig ist. „Deshalb haben wir uns für einen anderen Weg entschieden, nämlich die Bedienung der Kunden an der Theke. Dadurch wurde Platz frei, um ein Café in den Laden zu integrieren.“

Café weckt das Interesse an ‚Unverpackt‘

Ein kluger Schritt, denn beide Teile – Laden und Café – von gramm.genau in Frankfurt-Bockenheim befruchten sich gegenseitig: „Viele, die kommen, um bei uns einen Kaffee zu trinken, kaufen anschließend noch etwas ein. Die Präsentation der Waren hinter der Theke weckt einfach bei denjenigen, die uns noch nicht näher kennen, das Interesse an dem Unverpackt-Konzept. Umgekehrt nutzen Kunden ihren Besuch im Laden und die Zeit, die wir brauchen, um ihre mitgebrachten Behälter zu befallen, um noch gemütlich einen Kaffee vor Ort zu trinken“, berichtet Fuhrmann.

Wie im Laden wird auch im Café-Betrieb komplett auf Einwegverpackungen verzichtet: Die Gäste können sich selbst an einer Frühstücksbar mit Cerealien bedienen, serviert wird selbstverständlich auf Porzellan und dazu gibt es Stoffservietten. „Wir haben auch keinerlei Lebensmittelreste“, sagt Fuhrmann. Was übrig bleibt, wird abends über die App Too Good to Go verkauft. „Hier mussten die App-Nutzer allerdings erst lernen, dass sie Behältnisse mitbringen müssen.“ 

Mission Müllvermeidung: Franziska Geese, Jenny Fuhrmann und Christine Müller (v.l.) haben der Plastikflut den Kampf angesagt. Alle Fotos: gramm.genau

Lang erwartete Gelegenheit

„Wir haben den Eindruck, dass viele Kunden und Gästen nur auf die Möglichkeit gewartet haben, beim Einkauf weniger Müll zu hinterlassen“, sagt Fuhrmann. „Aber es gibt auch immer noch viele, die es überhaupt noch nicht kennen und sich erst langsam an das Thema herantasten.“ Weil es doch recht mühsam ist, ein Arsenal von Glas- und Mehrwegbehältern von zu Hause in den Laden mitzubringen, sind wiederverwendbare Baumwoll-Säckchen das beliebteste Transportmittel für Mehl, Haferflocken und Co. 

Die Säckchen eignen sich für alles, was später gekocht wird und können anschließend einfach in die Wäsche. Andere Kunden kommen auch mit großen Vorratsbehältern, die sie dann befallen lassen. Generell erstaunt es die Gründerinnen immer wieder, wie kreativ ihre Kunden sind. „Manche kommen mit Beuteln, die man beim Schuhekauf bekommt. Auch alte Bettbezüge lassen sich hervorragend umfunktionieren.“

Community aus Gleichgesinnten

Die Frequenz in Café und Laden hält sich Fuhrmann zufolge in der Waage. „Vor allem mittags schätzen viele unsere gesunden Bowls und Suppen, zugeliefert durch einen Bio-Caterer, da es in der Umgebung ansonsten nur sehr fettiges Fast-Food gibt. Und am Samstag locken die veganen Kuchen, die eine Konditorin möglichst müllfrei für uns herstellt, viele Gäste auch aus anderen Stadtteilen an, die gezielt zum Kaffeetrinken kommen.“ Inzwischen ist eine Community aus Gleichgesinnten entstanden, für die das unverpackte Konsumieren Teil der Lebenseinstellung ist.

Wer sich dafür interessiert, wie sich Dinge des täglichen Bedarfs ressourcenschonend selbst herstellen lassen, findet überdies die passende Literatur im Laden. „Wir möchten den Leuten dabei helfen, sich von den vorgegebenen Konsummustern zu emanzipieren“, so Fuhrmann. Für diejenigen, die sich nicht selbst auf den Weg nach Bockenheim machen wollen, gibt es die Möglichkeit, ihre Waren online zu bestellen. Die Verpackung erfolgt über ein Pfandsystem für Behälter. Ausgeliefert wird innerhalb der Innenstadt per Lastenfahrrad, Kunden in weiter außerhalb gelegenen Stadtteilen werden über Abholstationen in Bio-Supermärkten oder auch bei Privatpersonen versorgt.

Kommt jemand unvorbereitet – also ohne Gefäß – in den Laden, stehen gesammelte Behälter bereit, die von den Kunden gespendet werden. „Viele sind froh, wenn sie  alte Tupperdosen bei uns loswerden.“ Das Zurückbringen funktioniert auch ohne Pfand. „Wir haben sogar schon Teller verliehen. Die kamen auch wieder zurück“, erzählt Fuhrmann.

Aufgeschlossen, aber unsicher

Das Engagement für Müllvermeidung färbt langsam aber sicher auf die Nachbarschaft ab. „Wenn wir uns als Team nebenan eine Pizza holen, nehmen wir Teller mit, um den Karton zu sparen“, erklärt Fuhrmann. „Das ist gar nicht umständlich oder kompliziert.“ Viele Verbraucher seien einfach noch unsicher, wie sie sich anders verhalten könnten. „Grundsätzlich sind die meisten dem Thema gegenüber aber sehr aufgeschlossen.“

gramm.genau in Frankfurt

gramm.genau eröffnete am 2. März 2019 in Frankfurt Bockenheim als erster unverpackt-Laden der Stadt mit angeschlossenem Café. Hier gilt: Mehrweg statt Einweg: Einmalservietten, Plastikstrohhalme oder einzeln abgepackte Kekse sind ein absolutes No-Go. Stattdessen gibt es Stoffservietten, Strohhalme aus Edelstahl und handgemachtes Gebäck aus der Keksdose.

Wir kaufen alle Produkte so plastikfrei, nachhaltig und fair wie möglich ein”, sagt gramm.genau-Geschäftsführerin Franziska Geese. In herkömmlichen Lebensmittelläden und Cafébetrieben entsteht ein großer Teil des Mülls dort, wo ihn die Verbraucher nicht sehen: durch das Umverpacken bei der Anlieferung, im Großhandel, bei der Weiterverarbeitung und nicht zuletzt bei den Lebensmittelresten, die jeden Abend weggeworfen werden. Deswegen gibt es bei uns im Café bedarfsgerechte Portionen – quasi grammgenau.“ Falls doch etwas übrig bleibt, wird das Essen gespendet. Eingekauft wird beim Bio-Großhandel und bei regionalen Lieferanten nach Möglichkeit im Mehrwegsystem oder in Papiersäcken.

Welche Zielgruppen erreicht man mit ‚unverpackt‘? „Das ist sehr gemischt“, sagt Fuhrmann, „wir haben ebenso Schüler im Laden die von der Fridays-for-Future-Demo kommen, wie Senioren, die sich freuen, dass sie wieder das vertraute Einkaufserlebnis von früher haben.“ Preislich liegt gramm.genau etwa auf dem Niveau anderer Bio-Läden. „Mit den Discountern können wir natürlich nicht mithalten. Aber 1 kg Bio-Haferflocken für 3 € finde ich ziemlich fair.“

Verpackt wird in alles, was sich wiederverwenden lässt. Für die Gläser gibt es bei gramm.genau ein eigenes Pfandsystem.  

Schon seit Anfang 2018 beliefern die gramm.genau-Gründerinnen Büros mit gesunden Snacks und Müslis – natürlich müllfrei!

Unverpackt funktioniert

Was können Gastronomen von der unverpackt-Bewegung lernen? „Viele Café-Betreiber wissen gar nicht, ob sie überhaupt mit Mehrwegbehältern arbeiten dürfen. Deshalb erstellen wir gerade einen Flyer, unter welchen Bedingungen das möglich ist und welche Hygiene-Regeln zu beachten sind“, erklärt Jenny Fuhrmann. Überhaupt engagieren sie und ihre Mitgründerinnen sich dafür, die Idee der Müllvermeidung noch populärer zu machen. „Unter anderem sponsern wir die Refill-Initiative, bei der Cafés leere Wasserflaschen kostenlos mit Leitungswasser auffüllen. Wenn alle Leute stilles Wasser immer aus der Leitung trinken würden, wäre ein Großteil unseres Müllproblems gelöst.“ Auch gegenüber Schulklassen und auf Kongressen werben die unverpackt-Macherinnen für mehr Bewusstsein. „Die wichtigste Botschaft unseres Ladens an die Branche lautet aber schlicht: Unverpackt funktioniert!“

https://www.presstaurant.de/too-good-to-go-aufessen-statt-wegwerfen